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Vortrag über Genetik und Merle - von Svenja Petri

















Guten Tag meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, hier heute einen Vortrag halten zu dürfen. Erlauben Sie mir aber, mich erst einmal kurz vorzustellen. Mein Name ist Svenja Petri. Ich habe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover Tiermedizin studiert. Im Anschluss an das Studium habe ich am dortigen Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung meine Doktorarbeit angefertigt. Im Rahmen meiner Dissertation habe ich ein Computerprogramm über die erblichen Erkrankungen des Bewegungsapparates beim Hund entwickelt. Weiterhin habe ich mich mit genetischen Erkrankungen beim Kuvasz, Alaskan Malamute und Landseer beschäftigt. Insgesamt war ich fünf Jahre lang am Institut tätig. Mittlerweile arbeite ich in einer Kleintierpraxis in Hannover.

Lassen Sie uns nun auf das heutige Thema kommen. Ich möchte Ihnen etwas über die Vererbung des Merlefaktors erzählen und mit den dazu nötigen Grundlagen der Genetik beginnen.

Der Hund hat genau wie alle anderen Tiere und der Mensch in jeder Körperzelle einen kompletten "Bauplan" seines Organismus. Im Zellkern befinden sich die sogenannten Chromosomen, auf Ihnen sind die Merkmale des Tieres (wie z.B. Fellfarbe, Fellstruktur, Augenfarbe, Kopfform etc.) gespeichert. Ein Hund besitzt 39 verschiedene Chromosomen und auf jedem dieser Chromosomen befinden sich eine große Zahl von Erbanlagen; die einzelnen Erbanlagen bezeichnet man als "Gene". Nun besitzt jede Körperzelle einen "doppelten Satz" Chromosomen (also insgesamt 78), d.h. es gibt jedes Gen und damit auch jedes Merkmal in "zweifacher Ausfertigung".

Bei der Paarung geben beide Elterntiere jeweils 39 Chromosomen (also die Hälfte) an Ihren Nachwuchs weiter, das bedeutet, dass jedes Tier jeweils ein Gen von der Mutter und eins vom Vater erhält. So kann ein Welpe beispielsweise von der Mutter das Gen für schwarzes Fell erhalten, vom Vater das für rotes Fell. Da das Gen für schwarz "stärker" (dominant) ist als das für rot (rezessiv), hat der Welpe ein schwarzes Fell, er trägt aber auch eine Erbanlage für rot und kann diese an seine Nachkommen weitergeben.

Während der Meiose (der Entstehung der Keimzellen) finden zwei Reifeteilungen statt. Während der Prophase der ersten Reifeteilung werden die Chromosomen im Kern sichtbar. Durch die Homologenpaarung erscheinen die Chromosomen verdoppelt. Die homologen Chromosomen bestehen jeweils aus 2 Schwesterchromatiden. Dadurch entstehen Chromatiden-Tetraden. In dieser Phase findet das Crossing - Over statt. Dabei kommt es zu einer Vermischung des väterlichen und mütterlichen Erbgutes durch wechselseitigen Austausch homologer Chromosomenabschnitte.

In der Metaphase I verschwinden Nucleolus und Kernmembran. Die Chromatiden-Tetraden ordnen sich in die Äquatorialebene ein und die homologen Chromosomen rücken auseinander. Jede Zelle erhält einen Paarling von den homologen Chromosomen. Während der Anaphase I werden die Spalthälften der Chromosomen durch den Spindelapparat auseinandergezogen (Trennung der homologen Chromosomen). In der Telophase I entstehen 2 Tochterzellen; bei weiblichen Individuen eine Zelle und 1 Polkörperchen. In der Metaphase II der zweiten Reifeteilung findet eine Anordnung der Chromatidenpaare in der Äquatorialebene statt. Jede Zelle erhält ein Chromatid. Es kommt zu einer Trennung der Schwesterchromatiden). In der Anaphase II werden die Schwesterchromatiden durch den Spindelapparat auseinander gezogen. Während der Telophase II entstehen aus jeder der Zellen wieder 2 Zellen, so daß aus der einen am Anfang 4 Geschlechtszellen entstanden sind. Diese sind nur haploid. Bei weiblichen Individuen entstehen 1 Eizelle und 3 Polkörperchen.

Welche Bedeutung hat die Meiose? Einerseits sorgt sie für die Erhaltung der artspezifischen Chromosomenzahl. Aus diploiden Körperzellen werden haploide Geschlechtszellen und die Verschmelzung von zwei Geschlechtszellen führt wieder zu diploiden Körperzellen. Andererseits findet eine Neukombination der Chromosomen und damit der Erbanlagen in jeder Zygote statt; so entstehen die individuellen Unterschiede bei den Lebewesen einer Art.

Besitzt ein Individuum für ein Merkmal zwei gleiche Gene so nennt man es (für dieses Merkmal) homozygot. Sind die beiden Gene verschieden, so ist das Individuum für dieses Merkmal heterozygot. Bei heterozygoten Individuen entscheidet die Qualität der Gene über die Ausprägung des Merkmals. Es zeigt immer die Eigenschaft des dominanten Gens, das rezessive wird unterdrückt. Bei einigen Merkmalen kommt es zu einer Vermischung in der Ausprägung, hier spricht man von intermediären Erbgängen.

Verpaart man zwei Tiere miteinander, von denen einer homozygot für eine dominante Ausprägung eines Merkmals und der andere homozygot für eine rezessive Ausprägung des gleichen Merkmals ist, so zeigen alle Welpen die dominante Merkmalsausprägung. Sie sind aber heterozygot, d.h., dass sie sowohl ein dominantes als auch ein rezessives Gen für dieses Merkmal besitzen. Werden zwei dieser Tiere miteinander gekreuzt, so zeigen rein statistisch drei von vier Welpen die dominante Merkmalsausprägung und eins von vier Tieren die rezessive Merkmalsausprägung. Genetisch sind diese drei Tiere aber nicht identisch. Eins dieser Tiere ist homozygot für das dominante Gen, zwei sind heterozygot. Die sichtbare Ausprägung eines Merkmals bezeichnet man mit dem Begriff Phänotyp, die genetische Ausprägung als Genotyp.

Zwei relativ einfache und bekannte Beispiele für einen dominant-rezessiven Erbgang bei Hunden sind die Vererbung von Haarfarbe und Haarqualität. Verpaart man einen homozygot schwarzen und einen homozygot roten Hund miteinander, so erhält man nur schwarze Welpen. Diese Welpen sind für das Merkmal heterozygot. Wenn man zwei dieser Nachkommen miteinander paart, so sind rein statistisch drei von vier Welpen schwarz, einer rot. Von den schwarzen ist aber nur einer homozygot!

Genauso verhält es sich bei der Paarung eines homozygot kurzhaarigen mit einem homozygot langhaarigen Hund. In der ersten Generation sind alle Welpen kurzhaarig. Werden sie miteinander verpaart, so fallen drei kurzhaarige und ein langhaariger Welpe. Genotypisch haben wir aber zwei heterozygot kurzhaarige Tiere.

Was bedeutet diese Tatsache bei der Vererbung von rezessiven Krankheitsgenen? Man kann das Gen für eine rezessive Erkrankung in eine Population einschleppen und verbreiten, ohne dass etwas passiert. So lange, bis zwei heterozygote Tiere miteinander verpaart werden. Dann kommt es zum Ausbruch dieser Erkrankung.

Widmen wir uns als nächstes dem digenen Erbgang.

Beim di- oder oligogenen Erbgang sind zwei oder mehr Gene für ein Merkmal verantwortlich. So wird die Fellfarbe z.B. durch das Zusammenspiel verschiedener Gene bestimmt. In meinem Beispiel werden allerdings zwei Merkmale getrennt betrachtet, um das Ganze etwas zu vereinfachen. Beide Paarungspartner sind für ihre Merkmale homozygot, einer mit den dominanten und einer mit den rezessiven Genen. Ihre Nachkommen sind für beide Merkmale heterozygot und zeigen die dominante Merkmalsausprägung. Bei einer Verpaarung dieser Nachkommen miteinander entstehen eine Vielzahl von möglichen Genkombinationen und auch verschiedene Genotypen. Das Verständnis für diesen Erbgang ist auch für den Umgang mit dem Merlegen von Bedeutung, da auch hier alle Farbgene zusammen die letztendliche Färbung bestimmen.

Nachdem ich nun die genetischen Grundlagen erläutert habe, können wir uns der Vererbung und den Besonderheiten des Merlefaktors widmen. Das unvollständig dominante Merle-Gen ist dafür verantwortlich, dass die Grundfarbe nicht mehr einheitlich verteilt ist, sondern dass die Farbe marmoriert auf hellem Untergrund auftritt. Bei der Grundfarbe Schwarz nennt man die Merle Farbe blue-merle, bei Rot heisst es dann red-merle. Ein "blue-merle" ist also genetisch gesehen ein schwarzer Hund mit einem Merle Gen. Warum bezeichne ich das Gen als "unvollständig" dominant? Diese Bezeichnung sagt aus, dass die Nachkommen im hetero- und homozygoten Zustand nicht gleich aussehen, sondern unterschiedliche Färbungen aufweisen. Die Heterozygoten zeigen die gewünschte Aufhellung der Farbe, Homozygote haben mehr als 50% weiß. Ein weiterer Unterschied sind die unterschiedlich stark ausgeprägten Ohr- und Augenanomalien bei den sogenannten Weißtigern. Je mehr Farbe im Bereich der Ohren und Augen vorhanden ist, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit von Ohr- und Augenproblemen.

Verpaart man einen Hund mit Merlefaktor mit einem normalfarbenen, so sind 50% der Welpen normal gefärbt und 50% zeigen den Merlefaktor. Verpaart man zwei Tiere mit Merlefaktor, so fällt ein normal gefärbter Welpe, zwei mit Merlefaktor und ein Weißtiger.

Die Besonderheit der Augen- und Ohrprobleme bei den Weißtigern hat zu einer Aufnahme des Merlefaktors in das Gutachen zur Auslegung des § 11b des Tierschutzgesetzes geführt. D.h., dass die homozygote Ausprägung des Merlefaktors als Qualzucht gilt, da es nicht auszuschließen ist, dass es bei diesen Tieren zu Leiden und Schäden kommt. Bisher kommt der Merlefaktor z.B. bei Bobtail, Collie, Dt. Dogge, Sheltie, Dachshund, Welsh Corgi und Australian Shepherd vor. In dem Gutachten werden ein Zuchtverbot für Weißtiger und ein Verpaarungsverbot für Tiger x Tiger (MmxMm) empfohlen. Da auch bei Heterozygoten Veränderungen beschrieben wurden, wird in dem Gutachten ein genereller Verzicht auf die Zucht mit dem Merle-Gen vorgeschlagen.

Tatsache ist, dass in der Untersuchung von Wegner, nur eine Familie von Dachshunden mit dem Merlefaktor untersucht wurde. Hier wurden auch bei heterozygoten Tieren Augen- und Ohrdefekte gefunden. Es ist aber nicht sicher, ob es sich hierbei um Auswirkungen des Merlefaktors oder um familiäre und/oder Inzucht-Probleme gehandelt hat. Neumann hat für die Erstellung des Gutachtens eine Studie mit audiometrischen und ophthalmologischen Untersuchungen an Merletieren durchgeführt und ist wohl zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Veränderungen überwiegend bei homozygoten Tieren auftreten. Leider ist diese Studie nicht öffentlich zugänglich.

Was sollte jetzt bei einer Zucht mit dem Merlefaktor beachtet werden?

Auf Grund des Gutachtens zur Auslegung des §11b des Tierschutzgesetzes muss die Verpaarung von Tieren mit dem Merlefaktor miteinander sowie die Zuchtzulassung von Weißtigern verboten werden. Alles andere würde einen Verstoß gegen das Gesetz bedeuten! Wenn die Zucht mit dem Merlefaktor erlaubt werden soll, sollten einige Grundregeln beachtet werden:

Mit diesen Empfehlungen möchte ich jetzt meinen Vortrag beenden und stehe gerne für die Beantwortung von Fragen bereit.